Wellen, Wein und Wohnwagen
Text: Ralph Binder; Fotos: Raimund Binder, Ralph Binder
Vier Jahre vergingen, bis wir wieder ins Médoc kamen. Im Jahr 2012 wurde der Plan angepasst: Ein Familienwohnwagen Bürstner Averso Plus 440 TK hing an unserem la strada Avanti C Kastenwagen. Wir fuhren also mit Wohnmobil und Wohnwagen. Die Anreise erfolgte in nur zwei Etappen. Diesmal war das Ziel das Ziel. Da wir fast ausschließlich Autobahn fuhren, war der Wohnwagen hinter dem großen Zugfahrzeug kaum zu merken. Nur an den Steigungen des Massif Central zwang der Anhang zum Runterschalten. Dort angekommen wurde der Wohnwagen schnell installiert. Das fast 13 Meter lange Gespann zog schon vor Abfahrt die Blicke der Nachbarn auf sich. Das blieb auch auf dem Campingplatz so. Allerdings lag das an dem Außendesign des Wohnwagens. Das Dekor Jungle sorgte bei Passanten für spontane Neugier. „Dürfen wir mal reinschauen?“ hieß es gleich dreimal. Seine kompakten Außenmaße von nur 6,51 Metern Gesamtlänge lassen noch viel Freiraum auf dem Stellplatz. Innen ist er dank einer cleveren Hubbett-Konstruktion und einem Etagenbett als Schafzimmer für vier Personen geeignet. Es könnten sogar noch zwei Personen mehr darin schlafen, wenn die große Rundsitzgruppe unter dem Hubbett umgebaut wird. An zwei Regentagen konnten wir zu viert entspannt in der Sitzgruppe lümmeln und lesen, am Laptop spielen und Musik hören. Bei schönem Wetter lebten wir sowieso draußen. Ein großes Sonnensegel wurde zwischen drei Bäumen gespannt und überdachte unsere „Terrasse“. Vor allem das Abendessen wurde hier ausgiebig zelebriert. Einmal die Woche fuhren wir mit dem Zugfahrzeug in einen großen Supermarkt. Allein schon die lange Reihe der 55 Kassen war beeindruckend, die Auswahl an Produkten von discount bis luxuriös noch mehr. Geschlagene zwei Stunden verbrachte ich bewaffnet mit Fachliteratur in der Weinabteilung. Als Ergebnis wurde jeden Abend ein anderer Bordeaux um die 10 Euro verkostet. Kleinere Dinge wie täglich frisches Obst, Baguette und die leckeren kleinen Törtchen wurden im Ort mit dem Fahrrad besorgt. Ansonsten vergingen die Tage mit Wellenreiten, oder besser dem Versuch des Wellenreitens, Fahrradtouren und Ausflügen in die Region.
Wein
Für Weinliebhaber lohnenswert ist zum Beispiel eine Fahrt zur Winery, einem Erlebniszentrum rund um den Bordelaiser Wein. Beim Wein sind ja populärwissenschaftlich nur zwei Dinge wichtig: 1. Dass er schmeckt und 2. Dass er keine Kopfschmerzen hinterlässt. Das zweite hängt mit seiner Qualität zusammen, über das erste lässt sich jedoch lange diskutieren, denn die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Deshalb hat sich die Winery ein neues Konzept zur Kategorisierung des eigenen Wein-Geschmacks ausgedacht: Das Önologische Zeichen - in Anlehnung an die Sternzeichen. Zur Ermittlung des eigenen Önologischen Zeichens nehmen Kunden an einer Blindverkostung teil, bei der sie für verschiedene Weine nach einer vorgegebenen Skala Bewertungen abgeben. Aus diesen Bewertungen ermittelt ein Computerprogramm das individuelle Geschmacksprofil aus acht Önologischen Zeichen und acht Aszendenten. Die im Verkaufsraum angebotenen 1.000 verschiedenen Weine sind nach dieser Kategorisierung gekennzeichnet. Ein Blick auf das Etikett soll dadurch ausreichen, um dem Kunden zu zeigen, ob der Geschmack eines Weines in seine Richtung geht. Auch das angeschlossene Restaurant hält sich an diese Kategorisierung und bietet zu jedem Essen Weinvorschläge zu jedem Önologischen Zeichen. Eine vor allem für Neulinge durchaus einfache und unterhaltsame Art, sich dem Weingenuss zu nähern. Initiator der Winery ist Philippe Raoux, Eigentümer des Chateau d’Arsac, einem Schlossgut, das fünf verschiedene Bordeaux, Haut-Médoc und Margaux Appellationen anbietet. Auch Chateau d’Arsac ist einen Besuch wert. Aus den Ruinen eines 900 Jahre alten Schlosses machte Philippe Raoux seit 1986 einen Ort, an dem Kunst und Wein aufeinander treffen. Skulpturen von Niki de Saint-Phalle und vielen anderen Künstlern zieren den Weinkeller, den Schlosshof und die Weinberge des Chateau d‘Arsac.
Nicht nur unter dem Weinaspekt ist eine Fahrt entlang der Weinroute von Bordeaux interessant. Natürlich geben die Straßenschilder Hinweise auf klangvolle Namen wie Chateau Margaux, Latour oder Mouton Rothschild. Aber diese Ikonen des Bordeaux liegen abseits und sind nicht auf unangemeldete Ausflugstouristen wie uns erpicht. Bei 900 Euro für eine Flasche Wein hält sich unsere Trauer darüber in Grenzen. Es liegen genug andere schöne Schlösser entlang der Route. Alle Naslang bleiben wir stehen, um ein Foto zu schießen. Die kultivierte Landschaft aus Schlössern und Weinreben ist ein visueller Genuss. An den Ufern der Gironde besuchen wir eine alte Festungsanlage von Vauban, dem Baumeister des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. Die Überreste der Festungsanlage korrespondieren mit einer Anlagen am gegenüber liegenden Ufer. Gemeinsam sicherten sie im 18. Jahrhundert die Zufahrt nach Bordeaux. Fischerhütten auf Pfählen stehen in Ufernähe. Bei Flut werden ihre Senknetze herunter gelassen, um Fische zu fangen. Bei Ebbe wirken sie etwas unmotiviert im Schlick der Gironde.
Camping Les Grands Pins
Erstaunlicherweise stellte ich am Ende des Urlaubs fest, dass wir in drei Wochen nur zwei Tagesausflüge und zwei Fahrten in den großen Supermarkt unternommen haben. Aber wir hätten ja mehr machen können, wenn wir gewollt hätten, denn das Zugfahrzeug stand ja einsatzbereit vor Ort. Freiheit findet offensichtlich vor allem im Kopf statt. Allein die Vorstellung, etwas jederzeit tun zu können genügt anscheinend, um sich in seiner Bequemlichkeit besser zu fühlen. Allerdings tat der Campingplatz auch sein Bestes, um uns an sich zu binden. In den vergangenen vier Jahren wurde ein zweites Schwimmbad gebaut. Es ist mehr ein Erlebnisbad mit einem Strömungskanal, Whirlpools und angeschlossenem Wellnessbereich. Jeden Samstag fand auf dem zentralen Platz ein Markt mit lokalen Produkten statt. Der Supermarkt, das Restaurant, die Poolbar und der Imbiss hatten ausgiebig geöffnet. Da fiel mir auf, dass wir vor vier Jahren in der Vorsaison hier waren und das alles nur eingeschränkt geöffnet hatte, da der Platz nur zu einem Drittel belegt war. Hauptsaison hat also auch Vorteile. Auch in Lacanau-Océan ist zur Hochsaison mehr los. In den Bars und Cafés der Strandpromenade ist der Blick auf das Meer und die lokalen Surfer, die lässig ihre Kunststückchen zeigen, sehr unterhaltsam. Einer der täglichen Höhepunkte am Atlantik ist aber der Sonnenuntergang. Ob an der Strandpromenade des Ortes oder am Strandabschnitt vor dem Campingplatz, fast jeden Abend betrachteten wir fasziniert das Farbenspiel der Wolken. Und fest steht, hier kommen wir sicher nochmal hin – irgendwann. Aber dann wieder mit dem Wohnwagen. Wohnmobiltouren machen wir jetzt ohne die Kinder in der Nebensaison, auf die Art, wie ich mir das schon 2008 vorgestellt hatte. Aber für den Campingurlaub in den großen Ferien, ist der Wohnwagen mit Zugfahrzeug für uns die bessere Variante.