Geschmeide, Öl und Ziegen
Text und Fotos: Raimund Binder
Sidi Ifni ist die erste Etappe an der Atlantikküste. Ein Küstenort mit Hotels und mehreren Campingplätzen direkt am weitläufigen Strand. Die weißen Häuser mit blau gestrichenen Türen und Fenstern prägen den Ort. Der ehemalige spanische Gouverneurs-Palast verrottet langsam vor sich hin, weil die internationalen Besitzrechte nicht geklärt sind. Schade um die historische Bausubstanz, deren verwitternde Reste noch die alte Pracht erahnen lassen. Die Wellen des Atlantiks sind eine angenehme Erfrischung nach den vielen Tagen in Sand-, Stein- oder Geröllwüsten. Die malerische Felsküste lädt ebenso zu ausgedehnten Strandspaziergängen ein.
Zwei Tage später durchqueren die Wohnmobile eine Landschaft mit roter Erde und roten Lehmdörfern und machen Halt in Tiznit, der Stadt der Silberschmiede. Sechs Kilometer lang war einst der Befestigungsring, der die Stadt umgab. Heute sind davon nur noch Teile erhalten. Die Kissaria des Bijoutiers, der Geschmeide-Souk von Tiznit, bietet ein reiches Angebot an arabischem Goldschmuck, traditionellem Berber Schmuck oder auch Repliken davon und ist in ganz Marokko bekannt. Das Hochland um Tafraoute ist ein Höhepunkt des nächsten Streckenabschnitts. Bizarre Steinformationen und riesige Felsbrocken, die wie von Urkräften in die Landschaft gewürfelt da liegen, prägen das Bild der Hochebene. Eines der bekanntesten Gebilde ist die Tête Napoleon, der Kopf Napoleons. Die Vielfältigkeit der Felslandschaft hat auch den belgischen Künstler Jean Verame zu einem Kunstwerk der besonderen Art inspiriert. Er malte einzelne Felsformationen und -brocken an und hob sie so aus der Landschaft hervor. Gestrichen wirkt die Landschaft noch surrealer. Durch die Witterung sind die Farben des 80er Jahre Kunstwerks heute schon etwas verblasst. In dieser einzigartigen Erosionslandschaft liegt Tafraoute, ein Zentrum der Lederverarbeitung und des Schusterhandwerks in Marokko. Dem alten Dorfzentrum wünscht man, dass die umliegenden Felsbrocken nie ins Rollen kommen.
Die Serpentinen hinab zur Atlantikküste winden sich durch das Biosphären-Reservat der Arganöl-Produktion. Arganöl ist eines der teuersten und in seiner kosmetischen, kulinarischen und medizinischen Anwendung begehrtesten Öle, das nur in dieser einzigen Region weltweit angebaut werden kann. Die Produktion des Arganöls erfolgt auch heute noch nach traditionellen Verfahren und die Kerne werden von den femmes de l’Arganeraie, den Argan-Frauen, von Hand gemahlen. Unser Reiseführer behauptet, fleißige Mitarbeiter der Kooperativen seien dabei die Ziegen, die auf die stacheligen Bäume klettern und die schwer zugänglichen Früchte fressen. Die ausgeschiedenen Kerne würden aus dem von der Sonne getrockneten Ziegenkot gesammelt, aufgeklopft und der so gewonnene Kern der Argannuss werde durch die Ölmühle gedreht. Nun tatsächlich sehen wir Ziegen in den Arganbäumen. Auf die weitere Überprüfung dieses angeblichen Produktionswegs haben wir jedoch verzichtet.
Die Arganölproduktion ist in der Gegend um Agadir angesiedelt. Von dem arabischen Flair Agadirs ist heute jedoch nur noch der klangvolle Name übrig. Nach einem verheerenden Erdbeben vor rund 50 Jahren wurde die Stadt im modernen Stil wieder aufgebaut und ist nunmehr eine Ansammlung von Geschäften, Fast-Food-Ketten und Wohnblocks. Perle des Atlantik wird heute von den Einheimischen die Stadt Essaouira genannt. Die von mächtigen Wehranlagen umgebene Hafenstadt kann sich einer besonderen Architektur rühmen. Die an einer ausgedehnten Badebucht liegende Stadt ist von dem französischen Ingenieur Theodore Cornut entworfen worden. Er schuf eine Stadtlandschaft, in der sich genüsslich bummeln lässt. Verwinkelte Durchgänge führen zu breiten, geraden Straßen, an denen von Laubengängen umgebene Märkte die unterschiedlichsten Waren anbieten. Von Café zu Café schlendern, im Fischerei Hafen preiswert und gut essen, oder einfach nur in der Sonne liegen und bei all dem immer zahlreiche architektonische Details im Blick habenmacht den Reiz dieser Stadt aus. Ihr zweiter Name, Mogador, klingt wie aus einem arabischen Märchen.
In Essaouira verabschieden wir uns von unserer Reisegruppe. Der Konvoi setzt bereits zur Heimreise an, aber wir haben noch nicht genug von Marokko. Weil wir inzwischen jede Scheu des individuellen Fahrens in Marokko verloren haben und noch einige Ziele sehen wollen, entschließen wir uns länger zu bleiben.