Mobil zur Tour
Text und Fotos: Martin Häussermann
Das Wohnmobil ist das ideale Vehikel, um die Tour de France hautnah zu erleben. Noch intensiver ist nur der Selbstversuch: Allein auf dem Rad nach Alpe d’Huez! Der Campingplatz La Piscine in Bourg d’Oisans bietet dafür das ideale Basislager.
Die Verbindung von Fahrrad und Caravaning hat Tradition. Auch der Amerikaner Gary Fisher, der als Erfinder des Mountainbikes gilt, nutzte einen Campingbus, um seinem Hobby zu frönen. Dieser Campingbus war das Basislager, als Fisher 1973 mit seinem umgebauten Schwinn Cruiser, dem Hollandrad der amerikanischen Westküste - den Mount Tamplais erklomm und später wieder hinunterdüste- Auch bei den ersten Mountainbike-Wettbewerben 1976 wohnten die Sportler in Caravans, Campern und Zelten direkt an der Rennstrecke.
Auch die heutigen Helden der Landstraße nutzen die Mobilität und den hohen Komfort von modernen Freizeitfahrzeugen. Zum Fuhrpark der Tour-de-France-Pedaleuren gehören hochwertige Wohnmobile, in denen sich die Sportler vor und nach einer Etappe entspannen können. Und die mobilen Heime der Radsportfans am Streckenrand sind aus dem Bild der Tour de France nicht mehr wegzudenken. Aber nicht nur die aktiven Sportler haben die Vorteile des Wohnmobils erkannt. Auch umgekehrt wird ein Schuh draus. Viele Wohnmobilisten nutzen das Fahrrad, um am Reiseziel so flexibel wie möglich zu sein und die Natur aktiv zu genießen. So wie diese Gruppe aus Hobbysportlern und Journalisten, die sich vorgenommen hat, dieselbe Strecke zu bewältigen, die bei der Tour de France 2004 die Vorentscheidung brachte.
14 Kilometer Qual - auf zwei Rädern
Schon die Zahlen flößen Respekt ein. 1143 Höhenmeter, 21 Kehren, 14 Kilometer Streckenlänge mit einer Durchschnittssteigung von 7,9 Prozent. Das sind die nüchternen Daten eines Streckenabschnitts der Tour de France, der für Radprofis zu den selektivsten und für die Zuschauer zu den spektakulärsten gehört, die Strecke von der beschaulichen Ortschaft Bourg d’Oisans hinauf zur Skistation nach AIpe d’Huez. 2004 mutierte sie zur Höllenetappe: Bergeinzelzeitfahren Allein gegen Berg und Uhr – Wie machen die das nur? Genau das wollte der Schreiber dieser Zeilen erfahren und ließ sich vom Radsportspezialisten Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad zum Selbstversuch überreden. Wir wollen die Leistung der Helden der Landstraße vom Fahrradsattel aus würdigen - und nicht vom Fernsehsessel aus.
„Das wird schwierig“, meint Leistungsdiagnostiker Thomas Johanterwage. Er hat mich vorher gecheckt und mir immer wieder ein Tröpfchen Blut aus dem Ohr gedrückt, während ich auf dem Ergometer strampelte. Meine Puls- und Laktatwerte geben keinen Grund zum überschäumenden Optimismus. Thomas runzelt die Stirn als er die Messergebnisse betrachtet. Dem werd’ ich’s zeigen.
Der Rettungsring
Oder der Berg mir. Denn die Strecke von Bourg d’Oisans nach Alpe d’Huez ist alles andere als eine Sonntagnachmittagsradtour. Schon an der ersten Rampe falle ich beinahe vom Rad. Hier geht’s hoch wie am Hausdach, ich würge die Kurbeln im Stehen ein ums andere mal herum, fahre Zickzack. Der mitfühlende Mechaniker hat mir nach dem Leistungscheck ans Hinterrad der Hightech-Rennmaschine ein großes Ritzel montiert, das die Übersetzung verbessert. „Rettungsring“ nennen das die Radsportler. Jetzt weiß ich warum. Ohne diesen Ring mit seinen 27 Zähnen hätte ich schon vor der ersten von 21 Kehren schieben müssen.
Dort angelangt, treffe ich die beiden ehemaligen Tour-Champions Lance Armstrong und Fausto Coppi. Allerdings nicht persönlich. Ihre Namen zieren das Schild der Kehre 21. Diese Schilder bilden den Countdown auf dem Weg zur Skistation und tragen die Namen der jeweiligen Sieger der Bergankunft in Alpe d’Huez. Nachdem die Tour schon 23 mal dort ihr Etappenziel hatte, sind die beiden unteren Schilder doppelt belegt. Ein gewisser Marco Pantani hat das Programm schon einmal in knapp 38 Minuten absolviert, was umgerechnete ein Stundenmittel von rund 23 km/h ergibt. Aber der Italiener mit dem Piratentuch war voll mit Epo und mußte seinen Lebensstil mit einem frühen Tod bezahlen.
Ausser Atem
Ich bin nicht schnell, was hauptsächlich daran liegt, dass ich im Gegensatz zu Pantani nicht dope und das Leben genieße. Warum tue ich mir das eigentlich an? Diese Frage kann ich gerade nicht beantworten. Ich konzentriere mich lieber darauf, so langsam zu fahren, dass die Pulsuhr nicht viel mehr als 150 anzeigt. Denn so könnte ich es möglicherweise bis nach oben schaffen. Das hat Thomas zumindest behauptet.
Bis zur Kehre vier bin ich mir nicht so sicher. Doch dann ist das malerische Dorf La Garde-en-Oisans erreicht. Das kleine Kirchlein am Streckenrad ist eine wichtige Wegmarkierung. Denn ab hier wird die Steigung ein wenig gnädiger. Hier schalten die Profis ein bis zwei Gänge höher und gehen ab wie die Raketen. Bei mir ist von Beschleunigung nicht die Rede, ich nehmen nur ein wenig Fahrt auf und steigere mich von zirka sechs auf acht km/h. Die erste Wasserflasche ist zu diesem Zeitpunkt schon leer und ich fische einen Müsliriegel aus der Trikottasche.
Aber nicht nur Sportgetränk und –nahrung bringen mich bergauf, auch Gunnar motiviert mich, in dem er meinen inzwischen runden Tritt lobt. Unglaublich, wie viel Luft dieser Mensch noch zum Reden hat, trotz der brutalen Steigung. Aber er hilft mir, dass ich keinen Tunnelblick kriege, sondern mich ab und zu auch umschaue. Und das lohnt sich. Oben türmen sich die Dreitausender der Savoyer Alpen auf. Nach unten sehe ich jetzt zum ersten Mal ins Tal des Flusses Comanche und erblicke den Campingplatz, von dem aus Gunnar und ich gestartet sind. Der heißt Piscine, also Schwimmbad. Das wäre jetzt nicht schlecht, denn inzwischen zieren Salzränder das Trikot und es riecht auch ein wenig.
Mit letzter Kraft
Aber das Bad muss warten. Jetzt bin ich schon so weit gekommen, inzwischen ist auch die Skistation von Alpe d’Huez in Sicht. Das Ziel naht. Doch hinter der vorletzten Kehre, die nach dem Piraten Pantani benannt ist, droht noch einmal ein unverschämt steile Rampe. Tatsächliche Länge rund 400 Meter, die gefühlte Länge mindestens vier Kilometer. „Auf, das packst Du noch“, ruft Gunnar von hinten. Ich gebe mir keine Blöße und der Pulsmesser zeigt 165. Ortsschild Alpe dHuez. „Wenn Du bis dorthin gekommen bist, dann kannst du dir’s noch mal richtig geben“, hat mir Frank-Stefan, der rennerprobte Mechaniker, auf den Weg gegeben. Und ich geb es mir, schalte in den zweiten und in den dritten Gang. Puls 190. Am Zielstrich reicht die Kraft gerade noch, die Stopptaste der Pulsuhr zu drücken. Eine Stunde 55 Minuten. Ein Glück, dass ich nicht mit Radrennen mein Geld verdienen muss.